Austernpilze durch regionale Kreislaufwirtschaft
Urbane LandwirtschaftSteckbrief
1220 Wien
Hut & Stiel
- Ressourcen schonen,
- ein gutes, gesundes Nahrungsmittel herstellen,
- zeigen, dass vermeintlicher Abfall weiterverwendet werden kann und
- in den Köpfen der Menschen etwas bewegen und sie motivieren, selbst aktiv zu werden.
Vom Abfall zur Ressource – Die Kreislaufwirtschaft in der Pilzzucht
Der Kaffeesatz, ein vermeintliches Abfallprodukt der Wiener Gastronomie-Betriebe, Pensionisten-Häuser – sogar von Banken und anderen Bürobetrieben -, wird mit Pilzmyzel, Kaffeehäutchen sowie etwas Kalk vermischt. Die Austernseitlinge gedeihen auf diesem Nährboden und sind nach wenigen Wochen erntereif. Anschließend wird die A-Ware an Wiener Lebensmittelhändler (Österr.: Greißler) sowie Gastronomie verkauft und unverkaufte bzw. wegen optischer Mängel unverkäufliche Pilze von Produktionsbetrieben, wie Peter Hiel – Vegetarische Feinkost, weiterverarbeitet. Neben dem Direktverkauf werden die Restaurants, Greißlereien und Kantinen beliefert. Pro Tag findet mindestens eine Fahrt durch Wien statt. So wird die Frische der Pilze garantiert, was über längere Wege nicht möglich wäre. Ist das Kaffee-Substrat für die Pilzzucht aufgebraucht wird es kompostiert und als Erde wiederverwertet. Lediglich die Säcke und das Pilzmyzel kommen derzeit aus Ungarn.
Standort Mischgebiet
Nicht nur für die Vermarktung des Produkts bietet es sich an, im städtischen Kontext zu produzieren. Auch die Standortbedingungen zur Pilzzucht sind in alten Kellern, Bunkern oder anderen dunklen Gemäuern, welche häufig in Städten zu finden sind, ideal. Der Keller, in dem Hut & Stiel sich gründete, hatte eine Fläche von circa 280 qm und befand sich im Souterrain einer gründerzeitlichen Blockrandbebauung in einem Mischgebiet. Im vierstöckigen Gebäude selbst befanden sich Wohnungen. Der Keller wurde gewählt, da die Investitionskosten niedrig waren und der Standort relativ zentral lag, um die Pilze auch mit dem Lastenrad verteilen zu können. In unmittelbarer Nähe des Standorts waren Gastronomie, Einzelhandel, Büros und Wohnen, es handelte sich daher um ein gemischt genutztes räumliches Umfeld.
Da der Standort jedoch keine Möglichkeit für Wachstum bot, wurde bereits 2017 nach Ausschau zur Verlagerung des Betriebs gehalten. Im 15 km entfernten Klosterneuburg wurden eine Fläche in einem ehemaligen Weinkeller (ebenerdiger Stollen) mit ca. 350 qm zur Aufzucht der Pilze angemietet, wobei der bestehende Standort als Distributionszentrum zunächst erhalten blieb. Durch Zufall entstand ein Kontakt zum Gemeinschaftshof „Die kleine Stadtfarm“ in Wien – ein Gelände im Besitz der Stadt Wien, das langfristig an einen Verein verpachtet ist und von Gärtnervereinen, einer Tischlerei, einem Café, Tierpädagogen, diversen sozialen Projekten sowie seit Ende 2018 auch von Hut & Stiel genutzt wird. Dort stand ein Ziegenstall und Bäckereigebäude seit 20 Jahren mit ca. 150 qm leer und da die Miete günstiger als in den Kellerräumen des Gründergebäudes war, gab Hut & Stiel diesen Standort auf und baute die neuen Räumlichkeiten für ihre Zwecke um. Dort wird nun der Kaffeesatz gesammelt und die Pilzsäcke vorbereitet, um sie dann 1x pro Woche nach Klosterneuburg zur Reifung zu bringen. Von Oktober bis Dezember 2019 kann Hut & Stiel zudem ein Pop-up-Ladenlokal mit Café im 9. Bezirk gegen Nebenkosten nutzen und testen, inwiefern ein zusätzlicher zentraler Standort für das Unternehmen langfristig zur Verteilung Sinn macht.
Unterstützungsstrukturen
Hut & Stiel produziert in Wien seit Mai 2015 Pilze als Gesellschaft nach bürgerlichem Recht (GesbR). Aus rechtlichen und steuerlichen Gründen wurde zur landwirtschaftlichen GesbR im August 2017 zusätzlich eine GmbH gegründet. Anfänglich konnte nur auf wenig institutionelle Unterstützung gesetzt werden, da es für das Vorhaben bislang keine Genehmigungen und Referenzbeispiele gibt. Allein die Landwirtschaftskammer stand beratend zur Seite.
Die Gründungskosten wurden mit Eigenmitteln getragen, die aber zum Teil durch gewonnene Preise zurückgespielt werden konnten („Neongreen Adventures“-Award, 2. Platz bei „Crafted in Vienna. Wien produziert.”, Gewinner bei „greenstar(t) 2017″). Die Standortsuche war ebenfalls langwierig, da das innovative Vorhaben der damaligen Studenten auf Unverständnis und Zweifel seitens der VermieterInnen stieß.
Das Pop-up-Ladenlokal wird seitens des Bezirks zur Verfügung gestellt, welcher Zwischennutzungen für junge Unternehmen ermöglichen möchte.
Fazit
Die Pilzzucht von Hut & Stiel generiert eine neue Wertschöpfungskette in Wien und trägt so zur regionalen Kreislaufwirtschaft bei. Sowohl die Produktion als auch der Vertrieb der Austernseitlinge ist möglichst ressourcenschonend, nicht zuletzt durch die gelebte Idee der Stadt der kurzen Wege, so findet, wo möglich ein Transport mit dem Lastenrad statt.
Autorinnen: Martina Brandt und Kerstin Meyer, Institut Arbeit und Technik, Interview geführt am 19.06.2017 und 11.09.2019.