Entwicklung eines Eigentumsmodells ohne Privatbesitz
QuartierSteckbrief
13357 Berlin
Quartierstyp: ehemaliges Industriegelände
Beteiligte Akteure (Initiatoren): Mieterprojekt
Lerneffekte: Akteure, Netzwerke und Institutionen, Geschäftsmodell & Eigenwirtschaftlichkeit, Finanzierung, Nutzungsmischung, Quartiersmehrwerte, Umgang mit Leerständen
Finanzierung: 45 % Baukredit, 40 % Eigenmittel aus Mieten, 15 % Förderung Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin
Kontakt:
ExRotaprint gGmbH
www.exrotaprint.de
info@exrotaprint.de
ExRotaprint
Ausgangslage
Das ehemalige Produktionsgelände der Druckmaschinenfabrik Rotaprint liegt im Berliner Stadtteil Wedding und umfasst circa 10.000 m². Es zeichnet sich durch seine gründerzeitlichen Gewerbe- und Erweiterungsbauten aus und steht seit 1991 unter Denkmalschutz.
Nach der Insolvenz der Druckmaschinenfabrik 1989 wurde das Gelände zunächst vom Berliner Senat verwaltet und 2002 an den Liegenschaftsfonds Berlin übertragen, der das Gelände an den Höchstbietenden verkaufen sollte. Aufgrund der sanierungsbedürftigen Bausubstanz, der Auflagen zum Denkmalschutz sowie die Lage in einem als prekär geltenden und einkommensschwachen Bezirk fand sich vorerst kein*e Käufer*in. Mit dem Ziel einer heterogenen Nutzung aus „Arbeit, Kunst, Sozialem“ sowie günstigen Mieten für Alle, erarbeiteten die bildenden Künstler*innen Daniela Brahm und Les Schliesser 2004 ein Konzept zur Übernahme des Geländes durch damalige Mieter*innen des Fabrikgeländes. 2007 konnte die von den Mieter*innen gegründete ExRotaprint gGmbH nach langen Verhandlungen mit Senat, Bezirk und Liegenschaftsfonds das Gelände übernehmen.
Um die Langfristigkeit des Projekts zu erhalten, entwickelte die ExRotaprint gGmbH ein Eigentumsmodell aus einem Erbbaurechtsvertrag und einem gemeinnützigen Gesellschaftler*innenvertrag. Der Boden ist dabei Eigentum von zwei Stiftungen, trias und Edith Maryon, die Spekulationen verhindern und einen neuen Umgang mit Grund und Boden fokussieren. Die Gebäude sind dagegen im Besitz der ExRotaprint gGmbH, welche diese bewirtschaftet und hinsichtlich ihrer Sanierung, Vermietung und Finanzierung verwaltet. Die Gesellschafter*innen sind Mieter*innen, die aktiv an der Projektentwicklung teilnehmen wollen. Derzeit hat die gGmbH 10 Gesellschafter*innen sowie der RotaClub e.V., bestehend aus allen Mieter*innen, als 11ter Gesellschafter.
Intention
Als gemeinnütziges Unternehmen ist ExRotaprint zum Einhalten der selbstgewählten gemeinnützigen Ziele verpflichtet: Der langfristige Erhalt des Baudenkmals sowie der Förderung von Kunst und Kultur.
ExRotaprint vermietet die Flächen des Geländes zu je einem Drittel an die Bereiche Arbeit, Kunst und Soziales, um so den Austausch zwischen Menschen verschiedener Herkunft und Berufe zu fördern sowie der einseitigen, renditeorientierten Nutzung von Gebieten entgegenzuwirken. Bei der Auswahl der sozialen Projekte ist die Einbindung der Nachbarschaft in diese von zentraler Bedeutung. Die Büros, Studios und Ateliers werden an junge Kreative, das heißt Musiker*innen, Designer*innen, Schriftsteller*innen oder Künstler*innen, vermietet. Die Erdgeschossflächen des Geländes sind dagegen für das produzierende Gewerbe vorgesehen. Insbesondere letzteres soll neue Arbeits- und Ausbildungsplätze im Bezirk schaffen.
Der Überschuss aus den Mieteinnahmen wird im Sinne der gemeinnützigen Ziele für die Sanierung und Instandhaltung der Gebäude verwendet.
Hauptakteure
– ExRotaprint gGmbH als Erbbaurechtsnehmerin mit ihren 11 Gesellschafter*innen, fast alle Mieter auf dem Gelände, ein Gesellschafter ist der RotaClub e.V., offen für alle Mieter*innen
– Stiftung trias und Stiftung Edith Maryon als Erbbaurechtsgeberinnen
Maßnahmen
– paritätische Vermietung der Flächen an „Arbeit, Kunst, Soziales“
– Fokussierung auf am Gemeinwohl orientierten, profitfernen und für alle gesellschaftlichen Gruppen zugängliche Projekte
– Mieten als wirtschaftliche Basis: Verwendung des Mietüberschusses für Sanierungen und den Erbbauzins
Erfolgsbausteine
– Verhinderung von Kapitalabfluss sowie Erhalt der vergünstigten Mieten durch rechtliche Struktur aus Gemeinnützigkeit und Erbbaurecht
– sozial integrative Ausrichtung des Projekts mit besonderem Blick auf die Nachbarschaft
– starker Zusammenhalt der Mieter*innengemeinschaft aufgrund flacher Hierarchien und des gemeinsamen Entscheidens in der Projektentwicklung
Fazit
Das Projekt ExRotaprint dient als erfolgreiches Beispiel für nachhaltige und soziale Quartiersentwicklung, welches der Generierung von Profit mit Privateigentum entgegensteht. Durch die gleichwertige Förderung von gewerblichen, kulturellen und sozialen Projekten und Unternehmen sowie die Integration dieser in die Nachbarschaft entsteht eine gelungene heterogene Nutzungsmischung im Quartier, das heißt ein dichtes Nebeneinander von Wohnen, Gewerbe und Produktion. Insbesondere durch die Förderung und Ansiedlung von Unternehmen der urbanen Produktion und der damit einhergehenden Schaffung von neuen Arbeits- und Ausbildungsplätzen kann das vor sozial und städtebaulichen Herausforderung stehende Quartier im Wedding eine wirtschaftliche und soziale Stabilisierung erfahren, in dem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Durch die langfristige Instandhaltung der Gebäude kann zudem ein Teil der lokalen Identität des Weddings bewahrt werden.
Autorin: Marleen Wilhelm & Kerstin Meyer, Institut Arbeit und Technik (06.06.2019)
Quellen
ExRotaprint (2019): Startseite. Aberufen von www.exrotaprint.de
Bildquelle: www.exrotaprint.de